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Sehen Sie's mal wie wir!

Allein hat man keine Chance

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Schnell, dynamisch und mit einfachen Regeln: Das ist Goalball, eine Sportart, die blinde, sehbehinderte und mit Dunkelbrille ausgestattet auch sehende Menschen ausüben können. In diesem Monat steht die Europameisterschaft in Rostock an. Goalball-Nationalspieler Michael Feistle erzählt, wie er zum Goalball kam und was ihn daran fasziniert. Und er träumt vom Titelgewinn an seinem Geburtstag.

Von Michael Feistle

Goalball? Was ist das? Das war meine erste Reaktion, als ich mit 16 Jahren zum ersten Mal von diesem Sport hörte. Doch fand ich recht schnell Gefallen daran. Begonnen habe ich mit Goalball, weil ich von der Schule in meiner rheinischen Heimat an die Deutsche Blindenstudienanstalt (blista) wechselte, um dort mein Abitur am Gymnasium für Blinde und Sehbehinderte abzulegen. Dort suchte ich einen sportlichen Ausgleich. Betreuer meiner Internats-Wohngruppe stellten allen neuen Bewohnern das Sportangebot vor – auch Goalball. Nach einigen Trainingseinheiten war ich mir sicher: Das ist mein Sport!

Ich hatte zwar im Goalball nie ein direktes Vorbild, habe aber zu den Spielerinnen und Spielern aufgeblickt, die zum damaligen Zeitpunkt in Marburg trainierten. Ich wollte unbedingt auch einmal so gut spielen können und war von der Qualität der Würfe beeindruckt. Zwar sagte man mir, dass ich durchaus talentiert sei, doch hatte ich zu diesem Zeitpunkt nicht die besten körperlichen Voraussetzungen, um einmal in der Spitze anzukommen. Knappe 30 Kilogramm Übergewicht machten mich nicht gerade zu einem konditionell starken Spieler. Das habe ich in den zurückliegenden zehn Jahren deutlich geändert.

Nach vielen Wochen Training habe ich 2010 mit dem Team Marburg II bei der deutschen Meisterschaft meine ersten Spiele bestritten – zunächst mit mäßigem Erfolg. Dennoch waren es wichtige Erfahrungen. In den Folgejahren war ich bei allen Meisterschaften in der Jugend und bei den Senioren im Einsatz. Dabei haben mich Johannes Günther und Stefan Weil seit der Jugend durchgängig trainiert und sind bis heute in der Nationalmannschaft meine Trainer. 2010 durfte ich bereits den ersten Titel meiner noch jungen Karriere feiern: Deutscher U19-Meister. 2011 gelang die Titelverteidigung.

Paralympics waren das Highlight

Derweil stand ich im täglichen Training immer unter Beobachtung der Nationaltrainer. 2011 durfte ich mit der U19-Nationalmannschaft ins amerikanische Colorado Springs reisen, und wir haben die Silbermedaille bei der U19-WM gewonnen – ein Riesenerfolg! Mein Debüt in der Nationalmannschaft der Herren habe ich im Sommer 2012 bei einem internationalen Freundschaftsturnier im slowenischen Izola gegeben. Gleich im ersten Spiel habe ich auch mein erstes Länderspieltor erzielt. Heute bin ich bei insgesamt 195 Länderspielen angekommen, durfte an drei Europameisterschaften teilnehmen, an zwei Weltmeisterschaften und als Highlight an den Paralympics 2016 in Rio. Hinzu kommen zahlreiche nationale Titel mit der SSG Blista Marburg, bei der ich seit Beginn meiner Karriere aktiv bin. In den ersten Jahren im Nationalteam haben wir mehr Niederlagen erlebt als Siege – genau wie zu Beginn im Verein. Das hat mir jedoch nicht die Freude an diesem tollen Spiel genommen. Goalball ist ein Sport, bei dem alle auf dem Feld durch das Tragen der Dunkelbrille die gleiche Voraussetzung haben, unabhängig vom Grad der Sehschwäche. Das Besondere ist, dass man Goalball nur als Team bestreiten kann, allein hat man keine Chance. Man gewinnt, verliert, feiert und trauert mehr zusammen als vielleicht in anderen Sportarten, da jeder der drei Spieler eine wichtige Rolle einnimmt.

Goalball hat auch immer Überraschungen parat, hier kann der kleine den großen Favoriten schnell zum Straucheln bringen. Durch hundert Offensiv- und Defensivaktionen pro Spiel und Team ist es wahnsinnig dynamisch, sodass man während des gesamten Spiels höchst konzentriert sein muss. Zu dritt muss man das eigene Tor verteidigen. Wie das geht angesichts der Tatsache, dass durch die Dunkelbrille niemand etwas sieht? Im 1.250 Gramm schweren Ball sind Glöckchen, wodurch dieser gut auf dem 9 mal 18 Meter großen Spielfeld zu lokalisieren ist. Die Tore erstrecken sich über die gesamte Neun-Meter-Seite und sind 1,30 Meter hoch. Der Ball muss über den Boden geworfen werden. Gespielt wird über zweimal zwölf Minuten. Die angreifende Mannschaft hat lediglich zehn Sekunden Zeit, um einen Angriff auszuführen. Dies macht das Spiel schnell und dynamisch. Die Regeln und Chancengleichheit machen es einfach, die Sportart auszuüben. Was man braucht sind Motivation und Sportkleidung – dann kann es auch schon losgehen. Goalball wird in Deutschland schon seit vielen Jahren inklusiv gespielt. Das heißt, auch Sehende sind willkommen. Vereine gibt es in vielen Städten.

Spagat zwischen Beruf und Sport

Zu Beginn meiner sportlichen Laufbahn haben sich Goalball und Schule noch gut miteinander vereinbaren lassen, da der Sport durch meinen damaligen Schulleiter unterstützt wurde. Heute sieht das anders aus. Als Auszubildender mit einer 39-Stunden-Woche werden die Tage immer länger, da auch das Pensum des Trainings als Nationalspieler enorm gestiegen ist. Fitness, Teamtraining, Kraft, Ausdauer – das sind alles enorm wichtige Parameter, wenn man sich in der internationalen Spitze behaupten will. So müssen Trainingseinheiten vor und nach der Arbeit stattfinden, Trainingslager sind oftmals ebenso an Wochenenden wie die Bundesliga-Spieltage oder andere Turniere. Sollte mal ein Arbeitstag betroffen sein, muss das durch den Jahresurlaub abgedeckt werden. Der Spagat zwischen Spitzensport und Vollzeitjob wird immer schwieriger, und man ist oft auf die Unterstützung des Arbeitgebers angewiesen.

Silber bei der EM 2017 und bei der WM 2018 lassen uns natürlich vom großen Wurf bei der EM in Rostock vom 8. bis 13. Oktober träumen. Wir freuen uns alle riesig auf die EM im eigenen Land und haben uns das Ziel gesetzt, erstmals den Titel zu holen. Der Weg dorthin ist zwar schwer, da Europa die höchste Leistungsdichte im internationalen Goalball hat, doch wir haben uns optimal vorbereitet, akribisch an unseren Schwächen gefeilt und unsere Stärken ausgebaut. Zudem feiere ich am Tag des Finales meinen 27. Geburtstag – und da möchte ich nicht nur das Team, sondern auch mich persönlich mit dem Titelgewinn beschenken.

Wir freuen uns auf eine gute Stimmung in Rostock und hoffen natürlich, dass die Hallen gut besucht sein werden und sich viele Menschen von der Faszination Goalball anstecken lassen – vor allem am Finaltag und zu unserem Eröffnungsspiel gegen Spanien.

Michael Feistle (26) spielt bei der SSG Blista Marburg, Position: Center.

Die Goalball-EM wird vom 8. bis 13. Oktober in Rostock ausgetragen. Infos, Spielpläne und Tickets zur EM gibt es unter www.em-rostock2019.de. Mehr Infos zu Goalball, der Bundesliga und den Teams stehen unter www.goalball.de.


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Über diesen Podcast

Hier finden Sie den Podcast des DBSV-Verbandsmagazins "Sichtweisen“, der aus zwei Reihen besteht:

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