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Mit Dillan durch die Straßen ziehen

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Mit Dillan durch die Straßen ziehen

Aus den „Sichtweisen“, Ausgabe 6/19

Wenn Labrador Dillan eine Tür oder eine Treppe gefunden hat, bekommt er eine Belohnung. Dillan soll ein Blindenführhund werden. In Iserlohn haben wir ihn beim Training mit den Blindenführhundtrainerinnen Gerlinde und Abeline Haag beobachtet und allerlei über die Ausbildung ihrer Hunde erfahren. Dillan ist fast fertig ausgebildet, darum kann er meistens einen Hundekeks als Lohn für seine Arbeit einheimsen.

Von Ute Stephanie Mansion

Menschen eilen durch die Straßen. Ein kleiner Hund kläfft. Da kommt noch einer, ein etwas größerer. Doch Dillan lässt sich nicht ablenken; er läuft weiter geradeaus und tut so, als interessierten ihn auch die umherflatternden Tauben nicht. So möchte es seine Trainerin Abeline Haag, wenn sie mit Dillan, einem blonden Labrador, durch eine Fußgängerzone geht – heute durch die von Iserlohn im Sauerland. „Such Treppe“, sagt sie, und Dillan führt sie zu einer Treppe, setzt seine Vorderpfoten auf die erste Stufe und wartet kurz. So zeigt er an, dass es treppauf geht. Abeline Haag gibt ihm einen Hundekeks als Belohnung.

Dillan ist zweieinhalb Jahre alt, seine Ausbildung zum Blindenführhund fast beendet. Absolviert hat er sie in der Blindenführhundschule Haag in Hemer nahe Iserlohn. Dort trainieren Gerlinde Haag, ihre Tochter Abeline und Juliana Vilbusch die Hunde – jede von ihnen hat jeweils zwei bis drei „Auszubildende“ unter ihren Fittichen, doch jede übernimmt auch mal das Training der anderen Hunde.

Vor rund 20 Jahren hat Gerlinde Haag den Schritt von der angestellten zur selbstständigen Führhundtrainerin gewagt. In Hemer stehen den Tieren 4.500 Quadratmeter Land zur Verfügung – zum Herumtollen, denn die Hörzeichen, die ein Blindenführhund befolgen können muss, werden in verschiedenen Städten und da, wo die zukünftigen Halter wohnen, erarbeitet und geübt. „Such Eingang“, fordert Abeline Haag Dillan auf. Und der Rüde führt sie zum Eingang eines Modekaufhauses. Als er ein paar Minuten später das Kommando „Ausgang“ hört, strebt er dorthin, wo er und die Trainerin hereingekommen sind. „Gut gemacht“, freuen sich Mutter und Tochter Haag, und Dillan freut sich über ein weiteres Leckerli.

„Früher ist man sehr grob mit den Hunden umgegangen“, berichtet Gerlinde Haag. „Wir arbeiten heute so viel wie möglich mit einer Belohnung für alles, was der Hund richtig macht.“ Irgendwann hat er das, was er tun soll, so verinnerlicht, dass er die Belohnung nicht mehr braucht. Macht der Hund etwas Unerwünschtes, „meckert“ die Trainerin oder gibt ihm durch die Leine zu verstehen, dass er gerade etwas falsch gemacht hat – und bekundet umso mehr Freude, sobald er das gewünschte Verhalten zeigt. Hunde verstehen diese Art von Lob und Tadel.

Sechs bis acht Monate dauert die Ausbildung eines Blindenführhunds – hinzukommen 18 bis 21 Tage Einarbeitung für den Hund und den zukünftigen Halter. „Am Anfang trainieren wir zehn Minuten mit dem Hund“, erklärt Gerlinde Haag. „Im Laufe der Ausbildung steigert sich das Training dann auf bis zu zwei Stunden am Tag.“ Länger sollte ein Hund auch später von seinem blinden Frauchen oder Herrchen pro Tag nicht für Führaufgaben in Anspruch genommen werden, sagt sie, denn die Arbeit sei für den Hund sehr anstrengend. Zwischendurch brauche er immer wieder Pausen.

Wege, Treppen, Ein- und Ausgänge, Kassen in Geschäften, Bänke zum Ausruhen, Briefkästen, Ampeln und Zebrastreifen finden, Hindernisse umlaufen und Bordsteine anzeigen: All das muss ein Führhund können. Nicht nur in dem Ort, wo sich zufällig seine Führhundschule befindet, sondern überall. Der Hund muss die Hörzeichen, die er erhält, „generalisieren“ heißt das in der Fachsprache. „Man sollte kurze knackige Wörter als Hörzeichen verwenden“, erläutert Gerlinde Haag. „Und sie sollten einen unterschiedlichen Klang haben.“ Sie benutzt das Wort „Box“ statt „Briefkasten“, weil das für Hundeohren, die weder Deutsch noch eine andere Sprache wirklich verstehen, leichter ist. Dillan nähert sich einer Schranke. Natürlich könnte er mühelos darunter herlaufen, doch das darf er nicht, denn dann würde ja der Mensch, den er führt, gegen die Schranke laufen. Also führt Dillan brav um die Schranke herum. „Das Wichtigste, was ein Hund erst einmal lernen muss, ist, im Führgeschirr geradeaus zu laufen“, erklärt Gerlinde Haag. „Er soll in der Mitte des Weges bleiben.“ Ein Hund, der nicht geradlinig führen könne, brauche die Ausbildung gar nicht anzufangen.

Die Hunde für ihre Schule kauft sie bei Züchtern in ganz Deutschland und reist auch schon mal nach Polen, um geeignete Tiere zu finden. Das werde nämlich immer schwieriger, meint sie. Mal kauft sie Welpen, die im ersten Jahr entweder von einer Patenfamilie oder von ihr selbst großgezogen werden, oder es sind einjährige Hunde, mit denen sie die Ausbildung beginnt. Gesund müssen die Tiere sein, nennt Gerlinde Haag eine Voraussetzung. Hüfte, Wirbelsäule und Augen müssen in Ordnung sein. Wichtig ist auch das Wesen eines zukünftigen Blindenführhunds: Er soll sich gut mit Menschen und anderen Hunden vertragen, nicht ängstlich sein und möglichst frei von Jagdverhalten sein.

Mit Menschen, die einen Hund von ihr haben möchten, spricht Gerlinde Haag ausführlich. Sie möchte wissen, wofür der zukünftige Halter oder die Halterin den Hund braucht, welche Wege er gehen soll. „Ich brauche ehrliche Antworten, damit ich für jeden den passenden Hund finde“, sagt sie. „Denn Hunde sind so unterschiedlich wie Menschen.“ Dillan hat für heute genug gearbeitet. Noch einmal führt er Abeline Haag eine Treppe hoch, eine Treppe runter. Sie tätschelt ihm den Rücken und hält ihm einen Keks hin. Dann hat Dillan Feierabend.

Lust auf mehr? Im Juni berichten wir, welche Themen Blindenführhundhalter und -halterinnen aktuell bewegen. Und ein weiterer Labrador, nämlich „Tessy“, erzählt, wie sie Blindenführhündin wurde. In der Rubrik „Menschen“ schildert Pernille Sonne, wie sie blind Regie führt, und in der Rubrik „Service“ erfahren Sie, wie man Räume blendfrei gestaltet.

In der Juli/August-Ausgabe lautet das Schwerpunktthema der „Sichtweisen“ Jugend. Wir stellen vor, wie es in NRW mit der Verbandsjugendarbeit läuft. Junge Ehrenamtliche des DBSV und der Landesvereine äußern sich in kurzen Statements zu ihrer Arbeit. Außerdem gibt es Berichte über das Erwachsenwerden mit Sehbehinderung bzw. Blindheit.

Haben Sie Lust bekommen, in den "Sichtweisen" zu schmökern? Dann fordern Sie - bevorzugt per E-Mail - ein Probeexemplar an:
DBSV-Zeitschriftenverlag
Petra Wolff
E-Mail: p.wolff@dbsv.org
Tel.: 0 30 / 28 53 87-220.


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Über diesen Podcast

Hier finden Sie den Podcast des DBSV-Verbandsmagazins "Sichtweisen“, der aus zwei Reihen besteht:

Für „Leseprobe“ wählen wir aus jeder Ausgabe einen Beitrag aus und stellen ihn hier zur Verfügung - zum Reinhören und Reinlesen!
In der Hör-Reihe „Präsidiumsgespräch“ beleuchten DBSV-Präsidiumsmitglieder mit Gästen aktuelle Themen, die den Verband beschäftigen.
Impressum: https://www.dbsv.org/impressum.html

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