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„Immer geht es um die Behinderung“

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In Filmen werden Menschen mit Behinderung selten von Menschen mit Behinderung dargestellt. Warum ist das so, wollten wir von Wolfgang Janßen wissen. Er hat in Berlin die Plattform Rollenfang gegründet und vermittelt Schauspieler und Schauspielerinnen mit Beeinträchtigungen an Film und Fernsehen. Seine Erfahrung: Die Berührungsängste auf der Seite der Filmschaffenden sind noch groß. Man traut Behinderten zu wenig zu.

Interview: Ute Stephanie Mansion

Herr Janßen, wie ist die Agentur Rollenfang entstanden?

Das Wort Agentur finde ich nicht richtig. Wir sind eine Plattform zur Förderung von Schauspielerinnen und Schauspielern mit Beeinträchtigung oder mit Behinderung. Entstanden ist das Ganze vor vier Jahren, weil mein Patenkind Schauspieler werden wollte und ich seit 25 Jahren im Kulturmanagement tätig bin und keine Lust mehr auf meinen Job hatte. Da hat mich mein Patenkind auf die Idee gebracht, und ich habe sie umgesetzt.

Warum werden in Filmen und Fernsehserien Menschen mit Behinderung nur selten von Menschen mit Behinderung dargestellt?

Der erste und wichtigste Grund ist, dass man in der Branche immer noch Berührungsängste hat, sich auf Menschen mit Behinderung einzulassen. Der zweite Grund: Man kann sich natürlich gut herausreden, weil es auf staatlichen Schauspielschulen und Filmhochschulen kaum oder gar keine Menschen mit Behinderung gibt. Somit vermittelt auch die ZAV, die zentrale Vermittlung der Künstleragentur des Arbeitsamts, niemanden mit Behinderung. Ich glaube, es werden dort nur zwei oder drei Schauspielende mit Beeinträchtigung oder Behinderung geführt. Die Argumentation ist: kein Ausbildungsschein, also kein Berufsschauspieler oder -schauspielerin. Aber Hauptgrund ist wohl immer noch die Berührungsangst und die Angst, dass es teurer und umständlicher wird und dass man nicht genau weiß, wie man damit umgehen soll.

Haben Menschen mit Behinderung überhaupt eine Chance, eine professionelle Schauspielausbildung zu machen an einer der Schauspielschulen?

Ja und nein – eigentlich nein. Der einzige mir bekannte Fall ist der von Samuel Koch, der nach seinem Unfall in „Wetten, dass“ seine Ausbildung an der Schauspielschule Hannover fortführen konnte. Nach Samuel hat kein anderer mit Behinderung wieder einen Platz in Hannover eingenommen. Also, auf staatlichen Schauspielschulen gibt es keine Ausbildungsplätze für Menschen mit Behinderung, aber es gibt einige privat ausgebildete Schauspielerinnen und Schauspieler.

Warum wird eine sichtbare Behinderung in Filmen fast immer auch thematisiert? Jemand könnte ja auch eine Ärztin oder einen Richter spielen, ohne dass die Behinderung Teil der Handlung ist.

Ich weiß es nicht. Entweder sind es Berührungsängste oder man ist einfach zu eindimensional. Wenn ich Caster frage „Möchtest du nicht zum Beispiel ihn oder sie besetzen mit einem meiner Schauspieler oder Schauspielerinnen?“, dann sagen die „Wir haben doch gar keine Rollen für deine Leute“. Wenn ich frage „Warum nicht?“, antworten sie „Es steht nicht im Drehbuch“. Also, Caster, produzierende Regisseurinnen besetzen Rollen nur dann mit Menschen mit Beeinträchtigung oder mit Behinderung, wenn es explizit im Drehbuch steht. Im Drehbuch geht es in solchen Fällen nicht um die schauspielerische Fähigkeit, die Persönlichkeit, eine handwerkliche oder kognitive Fähigkeit einer Figur, sondern um die Behinderung. Das bedauern wir sehr und weisen darauf hin, aber es passiert nichts.

Wie erfolgreich vermittelt Rollenfang Menschen mit Behinderung an Filmschaffende und Fernsehsender?

Aus meiner Sicht nicht erfolgreich genug. Es gibt einen Bekanntheitsgrad, aber die Caster rufen mich an und sagen zum Beispiel: „Ich brauche jemanden mit Down-Syndrom, 16 Jahre alt, Migrationshintergrund.“ Oder: „Ich brauche einen Rollstuhlfahrer, 60 Jahre alt, männlich, graue Haare, ein bisschen dicker.“ Niemand sagt: „Ich bräuchte jemanden, der ganz toll jemanden so und so spielen könnte.“ Immer geht es um das Aussehen und die Behinderung, die dann auch die Hauptthematik im Film sein wird.

Von welchen Erfahrungen berichten Ihnen die von Ihnen vermittelten Schauspielerinnen und Schauspieler, wenn sie in einem Film mitgewirkt haben?

Wir versuchen es so einzurichten, dass ein Tandem von Rollenfang an das Filmset geht, bei einer körperlichen Beeinträchtigung auch eine Assistenz. Die Tandems, also Darsteller, Darstellerin und Coach, haben sich vorher bei Rollenfang kennengelernt, haben entweder die Rolle zusammen vorbereitet oder sich bei einem Workshop bei uns getroffen. Nach dem Dreh berichten die Schauspielenden mit Behinderung immer, dass es super war. Auch die Kollegen, die mir eine Rückmeldung geben, sagen „Es hat super geklappt, ich hätte nie gedacht, dass sie so viel können, wir waren erstaunt über das Leistungspensum“. Was mich wundert: Es kommen durchweg positive Erfahrungen von den Produzierenden, aber eine Verstetigung dieser Art der Rollenbesetzung setzt nicht schneller ein.

Vermittelt Rollenfang auch blinde und sehbehinderte Menschen an Filmschaffende?

Im Prinzip ja. Wir haben im vergangenen Jahr eine blinde Schauspielerin aufgenommen, aber noch nicht vermitteln können.

Was wünschen Sie sich im Hinblick auf Inklusion am Set?

Perspektivisch wünsche ich mir, dass es Rollen gibt, bei denen nicht die Behinderung im Vordergrund steht. Sie ist natürlich Bestandteil der Story, steht aber nicht im Vordergrund. Eine Schauspielerin oder ein Schauspieler mit kognitiver Einschränkung könnte zum Beispiel eine Bäckerin oder einen Patissier verkörpern und gewinnt einen Wettbewerb für die besten Pralinen oder wird Sterne-Koch. Die Tätigkeit oder die besondere persönliche und künstlerische Leistung soll im Vordergrund stehen. Es gibt beispielsweise unter unseren Schauspielerinnen und -spielern hervorragende Interpreten von witzigen Texten.

Können Sie Beispiele nennen für Leute, die Sie an Film oder Fernsehen vermittelt haben?

Da ist natürlich Carina Kühne, die ich mehrfach vermittelt habe. Sie ist bekannt aus „Be my Baby“, hat in „Die Bergretter“, „In aller Freundschaft“ und „Praxis mit Meerblick“, einem Zweiteiler für die ARD, mitgespielt. Jonas Sippel hat gespielt in „Kommissarin Lukas“ und in „Um Himmels Willen“. Peter Pankow hat gerade einen Kinofilm abgedreht. Max Edgar Freitag und Carina Kühne spielen zusammen in einem Film, der „Ich auch“ heißt. Da geht es um sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, vor allem in Werkstätten für Menschen mit Behinderung, ein toller Film.

Wie viele Schauspieler sind bei Ihnen registriert, und wie finden Sie die, oder kommen die auf Sie zu?

Die ersten Schauspielenden sind zu uns gekommen, weil ich Kontakt zu inklusiven Theatern aufgenommen hatte. Mittlerweile fragen Schauspieler und -spielerinnen aus dem deutschsprachigen Raum an, ob sie sich in unserer Plattform darstellen können. Im Moment stoppe ich das ein bisschen, weil ich Rollenfang allein betreibe.

Läuft es am Theater besser mit Inklusion und Schauspiel als bei Film und Fernsehen?

Auch dort gibt es keine Verstetigung. Es gibt oder gab bis zur letzten Spielzeit in Darmstadt drei Schauspielende mit Behinderung. Soweit mir bekannt ist, sind das aber die einzigen festen Stellen an einem Staats- oder Stadttheater. Es gibt natürlich tolle inklusive Theatergruppen wie „RambaZamba“ in Berlin, „Meine Damen, meine Herren“ in Hamburg, die „Blaumeier“ in Bremen und die „Freie Bühne“ in München. Aber bei Stadt- und Staatstheatern ist es noch ein weiter Weg. Es gibt immer mal wieder Projekte, aber was wir wollen, ist eine Verstetigung. Wenn man keine Verstetigung hat, gibt es auch keine „Stars“ mit Behinderung, weil man sich für große Rollen, für die im Drehbuch eine Behinderung steht, doch lieber einen bekannten Schauspieler oder eine Schauspielerin holt. Die setzt man dann in den Roll-stuhl oder lässt sie zur blinden Anwältin werden. Den Schauspielenden mit Behinderung, die es auf dem Markt gibt, traut man nicht zu, diese Rollen zu spielen, oder man behauptet, es sei zu kompliziert oder es gäbe keine ausgebildeten Darsteller, und man wolle ja das beste Ergebnis.

Mehr Infos unter www.rollenfang-berlin.de


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Über diesen Podcast

Hier finden Sie den Podcast des DBSV-Verbandsmagazins "Sichtweisen“, der aus zwei Reihen besteht:

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