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Der Vertrag von Marrakesch

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Es hat mehrere Jahre gedauert, doch nun ist der Vertrag von Marrakesch auch in Deutschland in Kraft getreten. Der Vertrag soll den Zugang blinder, sehbeeinträchtigter und lesebehinderter Menschen zu Werken in barrierefreier Form erleichtern. Um das zu erreichen, wurden Änderungen am Urheberrechtsgesetz vorgenommen. Wir erklären, was hinter der Vereinbarung steckt und was sie für Nutzer bedeutet.

Von Christiane Möller

Am 1. Januar sind Änderungen im deutschen Urheberrecht in Kraft getreten. Sie dienen der Umsetzung des Vertrags von Marrakesch, einem in der marokkanischen Stadt Marrakesch geschlossenen völkerrechtlichen Vertrag. Ziel ist es, durch Ausnahmeregelungen im Urheberrecht zugunsten von Menschen mit Seh- und Lesebehinderungen die Zugänglichkeit von Werken wie Literatur oder Musiknoten zu erleichtern und damit die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu verbessern, unter anderem in den Bereichen Kultur, Bildung, Arbeit, Politik, Meinungs- und Informationsfreiheit. Nachfolgend sind die wichtigsten Regelungen zusammengefasst.

Anpassungen im Urheberrecht

Grundsätzlich hat der Urheber eines Werkes, zum Beispiel der Autor eines Romans, das Recht, darüber zu entscheiden, wie andere sein Werk nutzen dürfen (Schutz des geistigen Eigentums). Von diesem Grundsatz gibt es gesetzlich definierte Ausnahmen, die man Schrankenregelungen nennt. Eine dieser Schranken besteht zugunsten sehbehinderter Menschen, um vorhandene Literatur in barrierefreie Fassungen, beispielsweise Punktschrift, übertragen zu dürfen. Die Europäische Union – und damit auch Deutschland – ist mit dem Abschluss des Marrakesch-Vertrags Verpflichtungen eingegangen, die über die bisherigen Ausnahmeregelungen hinausgehen – darum war eine Anpassung des Urheberrechtsgesetzes erforderlich geworden.

Individuelle Übertragung zulässig

Wie bisher ist es blinden und sehbehinderten Menschen gestattet, ein Sprachwerk, zum Beispiel ein Buch, eine Zeitschrift oder Musiknoten, für den individuellen Gebrauch in ein zugängliches Format zu übertragen oder sich übertragen zu lassen. Zugängliche Formate sind etwa Brailleschrift, Großdruck, Hörbücher oder barrierefreie digitale Formate. Nach wie vor darf man also ein beliebiges Buch einscannen und sich mittels Vorlesegerät vorlesen oder von einer Hilfsperson als Hörbuch aufsprechen lassen. Es ist nicht erforderlich, zuvor die Erlaubnis beim Urheber oder dem Verlag einzuholen. Voraussetzung ist nur, dass man zu dem Werk rechtmäßigen Zugang hat. Auch Bildbeschreibungen dürfen vorgenommen werden.

Neue Regeln für „befugte Stellen“

Sehr viel detaillierter werden die Rechte und Pflichten sogenannter befugter Stellen geregelt. Befugte Stellen sind Einrichtungen, die in gemeinnütziger Weise Bildungsangebote oder barrierefreien Lese- und Informationszugang für Menschen mit einer Seh- oder Lesebehinderung zur Verfügung stellen. Darunter fallen insbesondere Blindenbibliotheken oder Medienzentren, die Schul- bzw. Studienmaterialien barrierefrei aufbereiten und zur Verfügung stellen. Für diese Stellen besteht die gesetzliche Erlaubnis, Sprachwerke in barrierefreien Formaten herzustellen und sie seh- und lesebehinderten Menschen zugänglich zu machen. Erstmals ist es gesetzlich erlaubt, Werke direkt über das Internet zugänglich zu machen; bislang gab es für die Download-Angebote der Blindenhörbüchereien nur eine einzelfallbezogene Erlaubnis. Befugte Stellen müssen für die Herstellung und die Bereitstellung von barrierefreien Werken eine Vergütung an die Verwertungsgesellschaften und damit letztlich an die Urheber leisten. Diese Kosten dürfen aber nicht den seh- und lesebehinderten Nutzern in Rechnung gestellt werden. Außerdem müssen befugte Stellen ihre Tätigkeit künftig dem Deutschen Patent- und Markenamt in München melden, das die Kontaktdaten auf seiner Internetseite veröffentlicht. So sollen seh- und lesebehinderte Menschen besser erfahren, woher sie barrierefreie Literatur beziehen können.

Mehr Bücher durch Austausch

Als eine echte Innovation, die dem Marrakesch-Vertrag zu verdanken ist, besteht nun erstmals die Möglichkeit, dass befugte Stellen Literatur untereinander austauschen können. So soll vermieden werden, dass ein und dasselbe Werk in verschiedenen Ländern teuer produziert wird. Außerdem können seh- und lesebehinderte Menschen bei allen befugten Stellen der Mitgliedsstaaten des Marrakesch-Vertrags Literatur in barrierefreien Formaten erhalten. Beispielsweise wird es dem blinden Informatiker aus Deutschland damit möglich, Fachliteratur einer kanadischen Blindenbibliothek anzufordern. Die angehende Dolmetscherin kann Studienliteratur aus Spanien oder aus Ländern Südamerikas beziehen. Die finnische Opernsängerin kann Punktschriftnoten aus Deutschland bekommen. Diese internationale Vernetzung eröffnet den Zugang zu weit mehr Literatur als bisher. Mehr Menschen profitieren Wie bisher schon gelten die urheberrechtlichen Ausnahmeregelungen für blinde und sehbehinderte Menschen. Künftig ist es aber auch erlaubt, lesebehinderte Menschen mit für sie barrierefrei zugänglicher Literatur zu versorgen. Lesebehindert sind etwa Menschen mit Legasthenie (Lese-Rechtschreib-Behinderung) oder Personen, die wegen einer körperlichen Beeinträchtigung ein Buch nicht halten können und daher ein elektronisches Format benötigen. </p<


Kommentare

by Der Sichtwaise on
Als blinder Mensch, also Sichtwaise, begrüße ich den Vertrag von Kashmir.

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